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BFH kassiert zu strenge Anforderungen des BMF an Nutzungsdauer-Gutachten

BFH: Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer kann durch sachverständige Ermittlung der RND gemäß § 4 Abs. 3 ImmoWertV erbracht werden

  • BFH kassiert zu strenge Anforderungen des BMF an Nutzungsdauer-Gutachten
  • Positives Signal – Steuervorteile können weiter von Immobilieneigentümern genutzt werden
  • Anforderungen an den Nachweis etwas gelockert
  • Sprengnetter-Gutachten erfüllen alle Anforderungen durch Gesetz, Rundschreiben und Rechtsprechung
  • Weiterhin hohe Qualitätsanforderungen an beurteilende Sachverständige

In dem am 10. Mai 2024 veröffentlichten BFH-Urteil (Urteil vom 23. Januar 2024 – IX R 14/23) hat der BFH entschieden, dass – entgegen dem BMF-Schreiben vom 22. Februar 2023 – der Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG insbesondere auch durch eine sachverständige Ermittlung der Restnutzungsdauer (RND) gemäß § 4 Abs. 3 ImmoWertV erbracht werden könne.

 

Leitsätze des BFH:

    • Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) jeder sachverständigen Methode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint (Anschluss an Senatsurteil vom 28.07.2021 – IX R 25/19, Rz 19; z.T. entgegen Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 22.02.2023, BStBl I 2023, 332, Rz 24).
    • Der schlichte Verweis durch den Steuerpflichtigen auf die modellhaft ermittelte Gesamt- und Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach Maßgabe der betreffenden Immobilienwertermittlungsverordnung genügt nicht, um eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG darzulegen und nachzuweisen.
    • Der kapitalisierte Wert eines lebenslangen, fortbestehenden Nießbrauchsrechts an einem Grundstück ist nicht Bestandteil der Anschaffungskosten des Grundstücks, wenn der Nießbraucher das Eigentum am belasteten Grundstück erwirbt.

 

Wahlrecht des Steuerpflichtigen den typisierten AfA-Satz an die kürzere Nutzungsdauer anzupassen

In dem BFH-Urteil wird zunächst noch einmal klargestellt, dass § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht einräumt, ob er sich mit dem typisierten festen AfA-Satz zufriedengibt oder eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer geltend macht (so auch schon BFH, Urteil vom 28.07.2021).

 

Modellhaft ermittelte Restnutzungsdauer nach ImmoWertV als Nachweis geeignet

Der BFH untermauert zudem erneut seine Ansicht, dass sich der Steuerpflichtige zur Darlegung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer jeder sachverständigen Methode bedienen könne, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheine. Die gewählte Methode müsse über die maßgeblichen Determinanten der Nutzungsdauer – zum Beispiel technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen – Aufschluss geben. Da für die Richtigkeit der zu schätzenden Nutzungsdauer nur eine größtmögliche Wahrscheinlichkeit sprechen müsse, würde die Festlegung auf eine bestimmte Gutachtenmethodik (z.B. Bausubstanzgutachten) oder ein bestimmtes Ermittlungsverfahren die Feststellungslast des Steuerpflichtigen überspannen. Demzufolge hat der BFH ausdrücklich anerkannt, dass auch eine Gutachtenmethode, durch die die Restnutzungsdauer eines Gebäudes modellhaft wirtschaftlich bestimmt werde, als Nachweis für die Inanspruchnahme des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG genügen könne (so bereits BFH-Urteil vom 28.07.2021 – IX R 25/19, Rz 19 ff.).

Der BFH stellt zudem fest, dass sich die weitergehenden Anforderungen und Einschränkungen des BMF-Schreibens vom 22.02.2023 für den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer durch Sachverständigengutachten – jedenfalls nicht in Gänze – dem Gesetz entnehmen ließen. Weder § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG noch § 11c Abs. 1 Satz 1 EStDV gäben vor, auf welche Weise und anhand welcher Gutachtenmethode der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden könne, zu schätzen sei. Bereits aus diesem Grund sei die Anweisung des BMF in Rz 24 seines Schreibens, die „bloße Übernahme“ einer Restnutzungsdauer aus einem Verkehrswertgutachten reiche als Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer nicht aus, nicht tragfähig. Insbesondere die sachverständige Ermittlung der Restnutzungsdauer gemäß § 4 Abs. 3 ImmoWertV sei eine gutachterlich anerkannte Schätzungsmethode, die ohne eine gesetzliche Anordnung für steuerrechtliche Schätzungen nicht ausgeschlossen werden könne.

Zudem sei der Einwand, die nach den Vorgaben der ImmoWertV im Rahmen einer Verkehrswertermittlung ermittelte Gesamt- und Restnutzungsdauer eines Gebäudes führe für Zwecke des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht zu „sachgerechten Ergebnissen“ (BMF-Schreiben vom 22.02.2023, Rz 24), unbelegt. Er berücksichtige insbesondere nicht, dass trotz einer im Kern modellhaften – sachverständigen – Ermittlung der Nutzungsdauer die tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalls einbezogen würden. So regele die ImmoWertV, dass durchgeführte Instandsetzungen, Modernisierungen, unterlassene Instandhaltungen oder andere individuelle Gegebenheiten die Restnutzungsdauer verlängern oder verkürzen könnten. Anlage 4 SW-RL (inzwischen Anlage 2 zu § 12 Abs. 5 Satz 1 ImmoWertV) bestimme über ein Punkteraster-Verfahren, in welchem Umfang die jeweiligen Modernisierungselemente die Restnutzungsdauer abhängig von der Gesamtnutzungsdauer modifizierten. Es handle sich um eine typisierende Vorgehensweise, die einer steuerrechtlichen Schätzung nicht fremd sei.

 

Abstellung auf wirtschaftliche Nutzungsdauer als Nachweis ausreichend

Ein auf die Vorgaben der ImmoWertV gestütztes Sachverständigengutachten sei auch geeignet, Aufschluss über die für die tatsächliche Nutzungsdauer maßgeblichen Determinanten zu geben. § 4 Abs. 3 Satz 1 ImmoWertV ordne eine wirtschaftliche Bestimmung der Restnutzungsdauer an, stelle somit nicht auf den technischen Verschleiß eines Gebäudes ab. Daher sei eine Forderung, dass sich ein Sachverständigengutachten zu sämtlichen für die Restnutzungsdauer maßgeblichen Determinanten äußern müsse, nicht nachvollziehbar. Begründe der Steuerpflichtige die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer mit einer wirtschaftlichen Abnutzung oder einer auf rechtlichen Gegebenheiten beruhenden früheren Entwertung, bedürfe es keiner sachverständigen Feststellungen zum technischen Verschleiß des Gebäudes, da die kürzere wirtschaftliche oder rechtliche Nutzungsdauer entweder nur bedingt oder zumeist gar nicht vom technischen Gebäudezustand abhängig sei. 

Ein Nachweis des technischen Verschleißes einzelner Bauteile sei aus den genannten Gründen für den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer nicht erforderlich.

 

Sachverständige Begutachtung weiterhin notwendig

Vorsorglich weist der BFH in seinem Urteil darauf hin, dass eine schlichte Bezugnahme des Steuerpflichtigen auf die modellhaft ermittelte Gesamt- und Restnutzungsdauer nach ImmoWertV keine Darlegung bzw. keinen Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer darstelle. Vielmehr müsse für die Schätzung der Nutzungsdauer eine sachverständige Begutachtung erfolgen, die sich insbesondere zu den individuellen Gegebenheiten des Objekts (z.B. durchgeführte oder unterlassene Instandsetzungen oder Modernisierungen) auseinandersetze und entsprechend berücksichtige. Dies würde auch Nr. I.2 der Anlage 2 zu § 12 Abs. 5 Satz 1 ImmoWertV belegen, wonach der Modernisierungsgrad des Wertermittlungsobjekts einer „sachverständigen Einschätzung“ zu unterziehen sei.

 


Fazit

Der BFH hat mit seinem Urteil die strengen Anforderungen des BMF-Schreibens vom 22.02.2023 etwas gelockert. Insbesondere ist die Abstellung auf die wirtschaftliche Nutzungsdauer – als eine der drei genannten Determinanten – als Nachweis nach dem BFH-Urteil völlig ausreichend. Die Beurteilung des technischen Verschleißes einzelner Bauteile ist für den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer nicht erforderlich.

Das BMF-Schreiben verliert durch das BFH-Urteil nicht an Gültigkeit, es werden aber bestimmte zu strenge Anforderungen kassiert, die in Zukunft nicht mehr bei der formalen Prüfung des Gutachtens berücksichtigt werden dürfen. Weiterhin gültig bleibt die BMF-Anforderung an die Qualifikation des Sachverständigen, der entweder im Sachgebiet der Immobilienbewertung öffentlich bestellt oder von einer nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Zertifizierungsstelle zertifiziert sein muss.

Das BFH-Urteil kann für Sachverständige der Immobilienbewertung als positives Signal verstanden werden, sich intensiver mit dem Thema „Nutzungsdauer-Gutachten“ auseinanderzusetzen, um neue Kundengruppen zu erschießen.

 

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